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Dienstag, 2. April 2013

Piraten, Medien, Wahrnehmung



Fertigmachen und Stänkern
Piraten und Medien, Torben Friedrich



Als der Journalist Patrick Tiede eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, sah er sich in einem deutschen Reporter verwandelt. Als solcher hatte er mit seinem Notebook ein paar Tweets einiger Mitglieder der Piratenpartei öffentlich mitgelesen – weil da doch alle so offen sind und man es dann noch einmal in Ruhe bewerten konnte. Tiedes Problem: Journalismus basierend auf Twitter und einigen dpa-Meldungen sind kein kafkaesker Albtraum. Tiedes Lösung: Häme und Respektlosigkeit in seinen Kommentaren.

So geht es zu bei der Presseberichterstattung über die Piratenpartei, die in den jüngsten Presseberichten nach dem medialen Hype um sie gnadenlos in der Gunst der Presse abgerutscht sind – auf gerade noch schlechte Kalauer und irrwitzige Storys über ihre eigene mediale Darstellung.

Die Piratenpartei liefert verlässlich ihre Offenheit in ihren Gesprächen und somit auch ihre Querelen. Ponaders Hartz-IV-Bezüge, die in der Presse nicht von beiden Seiten beleuchtet werden und daher kaum jemand die Sichtweise von Ponader kennt, Rydlewskis Sex-Twitterei, worauf gerade mal 14 Presseberichte im Boulevard eingegangen sind, oder die Nuklearia Atom-Arbeitsgruppe, die mit Butterbroten warme Brüter erklärt – es ist eine bunte Medienwelt von Absonderlichkeiten um die Piraten entstanden. Zwei Medienschichten laufen hier aufeinander.

Erstens: die “alten Medien” – also jene, die ihre Konsumenten noch auf Papier oder am Bildschirm halten, weil sie sich den neuen Möglichkeiten des Mediums Internet nicht bewusst sind. Und auch sich dieses Verhalten durch Leistungsschutzrechte anstatt neue Antworten sichern lassen. Weil die Piraten hier aber nicht liefern, wenden sich diese Berichterstatter ab. Eine Partei, die sich nicht medial anpasst und trotzdem gar nicht so anders ist als die Anderen – die kommt hier nicht gut an. [...]

Am Willen zum zum Diskurs jedenfalls mangelt es nicht. Auf Twitter wird alles von den “alten Medien” seziert, anstatt über die eigentliche Arbeit berichtet. Und dann kommt es schon mal zu einem Selbstabrechnungs-Tweet, gelesen gestern um 18.10 Uhr:

Die böse Öffentlichkeit, die uns alle kaputt macht, sind wir übrigens selbst. #dickesfell #Piraten

— Gero von Zweifeln (@zweifeln) September 3, 2012

Da auf das “Erstens:” kein “Zweitens:” folgte, sondern im Blogkommentar von Tiede nur ein krudes Protestwähler würden abwandern, weil wir keine Antworten auf die großen politischen Fragen hätten kam, konnte ich die Glosse leider nicht vernünftig abschließen und leite darüber lieber das Problem der Piraten mit ihrer Medienkompetenz her.

Nach solchen Artikeln (hier im Original lesbar) auf Titelseiten der täglich erscheinenden bundesweiten Manteln der überregionalen Zeitungen – der obrige Artikel ist vermutlich ebenfalls in der Allgemeinen Zeitung, der Peiner Allgemeine Zeitung, im Göttinger Tageblatt, der Aller-Zeitung, der Leine-Zeitung, der Wolfsburger Allgemeinen, der Deister- und Weserzeitung, der Walsroder Zeitung, Der Harke, den Schaumburger Nachrichten, der Alfelder Zeitung, der Leine-Deister Zeitung, dem Gandersheimer Kreisblatt, dem Täglichen Anzeiger, der Einbecker Morgenpost und dem Seesener Beobachter erschienen – muss man die Mechanismen die in den alten Medien wirken, einfach mal mit den medialen Möglichkeiten der Piraten vergleichen.

Der bisherige Ablauf um Öffentlichkeit und mediale Darstellung seiner Inhalte zu erlangen, war der Weg über den klassischen Journalismus in die Zeitungen, Radio-Sender und Fernsehprogramme der interessierten Leser und Zuhörer. Man lieferte seine Nachrichten an die Redaktionen, diese suchen sich die mit dem größten monetarisierbaren Wert aus und publizieren diese in ihren Medien oder verkaufen sie weiter an Nachrichtenhäuser, die selber nicht mehr in der finanziellen Lage sind, eigenständig zu recherchieren oder Nachrichten zu produzieren.

Gut verkaufbare Nachrichten haben aber weniger etwas mit einem realen Nachrichtenwert zu tun, als eher mit der Möglichkeit, damit möglichst die Verkaufszahl der Nachricht zu erhöhen, woraus leider viel zu oft “die bösen Medien schreiben uns runter” tituliert wird, anstatt das Problem vernünftig zu beschreiben.

An sich ist der Journalismus durch seine Institutionalisierung und Zentrierung auf wenige Nachrichtenagenturen zu einer Art Börse verkommen. Unzählig viele Vereine, Parteien, Unternehmen und Einzelpersonen versuchen ihre Nachrichten zu positionieren und an die Öffentlichkeit zu bringen. Sei dies durch Pressemitteilungen, direkten Kontakt zu Journalisten oder eben durch die Offenlegung von Zahlen, zur Selbstrecherche.

Anstatt aber die Fremdbeobachtung und Eigenrecherche in den Vordergrund zu stellen, ist durch den Einkauf und Weiterverkauf der Nachricht ein Wetten auf seine Monetarisierung einhergegangen. “Kauft” ein Verleger eine Nachricht und publiziert diese, wettet er darauf, dass diese sich gut verkaufen lässt. Entweder beim Endkunden, also dem Leser, oder eben bei Zweitverwertern, die die Nachricht ebenfalls abdrucken.

Zwei aktuelle Beispiele sind hier die zahlenden Mitglieder der Piraten oder die Debatte um die Eierstempel, mag es noch so lächerlich klingen. Haben sich einige Mitglieder der Piratenpartei vor zwei Jahren mit Eierstempeln auseinandergesetzt, wurde in der medialen Berichterstattung darüber gelacht:



In der aktuellen “Lebensmittelskandal”-Berichterstattung dominiert nun witzigerweise die Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (genauso wie bei ihrer damaligen Abmeldung bei Facebook), obwohl sie Teilschuld an der aktuellen Situation mangels vernünftiger Umsetzung einer geeigneten Lösung seit 2004 hat:



Dies hat aber nichts mit Boshaftigkeit der Medien™ zu tun um die Piratenpartei zu diskreditieren, sondern es passte jeweils in die tagesaktuelle Berichterstattung. Es geht eben im klassischen Journalismus nicht wie größtenteils in der Bevölkerung gedacht wird um die öffentliche Berichterstattung und die daraus resultierende bestmögliche Aufklärung, sondern leider hauptsächlich um den größtmöglichen Verkauf der Nachricht, da einfach das Geld und die Zeit für investigativen Journalismus, oder ganz einfach vernünftig recherchierten Journalismus, schlicht fehlt. Die Piraten sind halt die Nerds und nicht die mit den sinnvollen Lösungsansätzen, dass will doch niemand lesen.

Durch das Medium Internet ist hier aber eine Sollbruchstelle im Journalismus entstanden, die momentan ziemlich schnell versucht wird zu beheben, da im Internet ohne große Investition und ohne großen Zeitverlust, von jeder Person berichtet werden kann.

Diese “Fehlerbehebung” wird ziemlich leicht, ohne es vom Großteil der selbsternannten Berichterstattern im Internet zu bemerken, durch eine ziemlich leichte Handhabung nun immer besser geschlossen:

Der Mechanismus des Verkaufes der größtmöglichen Nachricht funktioniert auch im Internet. Ein Artikel der SKANDAL oder EILMELDUNG titelt oder durch eine klare polarisierende Haltung dazu anregt, diese weiterzuleiten, verkauft sich auch im Netz besser und schneller, da so Besucher angelockt werden und man damit ein Automatismus durch die entstehenden Folgen vollzogen wird.

“Die böse Öffentlichkeit, die uns alle kaputt macht, sind wir übrigens selbst.”

Anhand der Piratenpartei ist dies beispielhaft zu erklären:

Die Piratenpartei hat es geschafft durch eine hohe Nutzung und Bemessung der Möglichkeiten des Mediums Internet ihre Nachrichten selbstständig in einer gewissen Größenordnung zu publizieren und ihr Öffentlichkeit zu verschaffen.

Sie wurde somit zu einem gesellschaftlichen Akteur, der auch nicht mehr im klassischen Journalismus ignoriert werden konnte, da es aus eigener Hand geschafft wurde die Kriterien Aktualität, Faktizität und Relevanz zu erreichen.

Nun ist es aber so, dass diese Art der Kommunikation im Internet natürlich auch von anderen Akteuren genutzt werden kann, wir aber der Nachricht wenn dort “Spiegel” oder “BILD” vor dem .de steht, noch immer einen viel höheren Wert beimessen, als der eigenverantwortlichen Nachrichtenquelle die dann halt “kattascha“, “netzpolitik” oder “piratenpartei” vor dem .de heißen kann.

Titelt der Spiegel online über angebliche Probleme in der Piratenpartei, sind es vor allem Piraten die als Multiplikatoren diesem Artikel weitere Öffentlichkeit schenken, weil sie denken, dass diese Nachricht viel gelesen wird, anstatt sie einfach zu ignorieren und nicht weiterzuleiten.

Denn es ist kein gut recherchierter, sehr kritischer oder besonders “wertvoller” Artikel nur weil er unter dem Namen eines althergebrachten Verlagshauses steht, wenn er mangels Zeit und Geld aber aus Angst vor der Schnelligkeit der anderen Akteure im Journalismus dahingeschrieben wird und einfach die Wertigkeit im monetären Sinn der anderen Artikel übertrumpfen muss. Es geht dort nicht um den Wert der Nachricht als aufklärerischer Bestandteil zur Meinungsbildung, sondern er muss bunter, schriller und lauter sein, damit er die anderen übertönt und sich möglichst gut verkauft.

Durch die Weiterleitung eines solchen schlicht und schnell heruntergeschriebenen Artikels verfallen wir in eine ganz einfache “self-fulfilling prophecy“, da der Artikel durch unsere eigene Öffentlichkeit erst zu einer Nachricht wird. Wir fangen an uns mit dem Artikel auseinanderzusetzen und Probleme entstehen zu lassen, wo keine wären, hätten wir ihn ignoriert. Die daraus resultierende Selbstbeschäftigung führt dazu, dass wir uns weniger darauf konzentrieren, eigene Nachrichten zu produzieren und somit der Eindruck ensteht, wir würden uns nur mit uns selbst beschäftigen.

Erst ab dann entsteht aus einem Artikel der beispielsweise bei Spiegel online stand auch die Relevanz, darüber im Print zu berichten, denn er ist ja wahr geworden. Daher ist es auch der falsche Umkehrschluss wenn Christopher Lauer sein Fazit zu Twitter in der FAZ mit dem richtigen Ansatz zieht und schreibt:

Ist es zu viel verlangt, dass sich alle, egal, in welcher Kommunikationsform, vorher folgende drei Fragen stellen: Muss es gesagt werden? Muss es jetzt gesagt werden? Muss es jetzt von mir gesagt werden? Und: Welcher Mehrwert entsteht denn durch diese permanente Nabelschau auf Twitter konkret und für wen?

dann aber Twitter für sich als “gestorben” ansieht und lieber auf die alten Medien und seine bisherigen Mechanismen setzt. So begibt er sich lediglich in den sooft zitierten medialen Fahrstuhl mit dem man leicht “nach oben” fahren kann, aber auch genauso schnell “nach unten“, wozu ansatzweise Stefan Niggemeier etwas geschrieben hat.

Ich kann Christophers Haltung halbwegs nachvollziehen, dass je mehr Öffentlichkeit man erfährt, man automatisch polarisiert und resultierend schnell Frustation erfolgen kann, da man schlicht mit Nonsens bombadiert wird. Eine Möglichkeit ist nun sich von der eigenverantwortlichen Berichterstattung abzukapseln, oder man muss beginnen seine digitale Filterblase zu pflegen, was einen schnell überfordern kann. Ich erinnere mich an unter Piraten gehörte Sätze wie “der Lauer ist ja voll abgehoben, der reagiert ja gar nicht mehr auf Mentions die man ihm schreibt.” wo die Personen das Problem aber ebenfalls nicht begriffen haben. Was bei Otto-Normal-Nutzer in der herkömmlichen Timeline sich ansammelt, landet halt bei @schmidtlepp wohl an Spitzentagen alleine unter seinen Mentions.

Nur trotzdem sind wir diejenigen, die das Internet und seine Nachrichtenquellen wie zum Beispiel Twitter zu dem machen, wie wir es nutzen wollen und sei es durch Pferd. Wir sind diejenigen, die durch das gemeinsame Auftreten im Internet Nachrichten in den traditionellen Medien platzieren können, wie man beispielsweise erst kürzlich mit #aufschrei sehen konnte, da viele Personen gemeinsam eine Nachricht gepusht haben.

Man wird dies nicht erreichen, nur weil man selber 30 Millionen Follower hat, die wiederum zig Personen lesen und so die eine Nachricht im Grundrauschen untergeht, sondern durch das nicht umsonst so genannte Social Networking. Eine Nachricht die es Wert ist verbreitet zu werden, sollte auch verbreitet werden und nicht ignoriert.

Einige Blogs wie beispielsweise netzpolitik.org haben deswegen ihre gesellschaftliche Relevanz erhalten, weil sie nicht nur durchgängig lesenswerten Inhalt produzieren, sondern sich untereinander referenziert haben und so mehr Leser auf die Nachricht lenkten. Da ist es nicht entscheidend ob das eigene Blog normalerweise nur 100 Leser hat oder die eigenen Tweets von nur 50 Followern gelesen werden, sondern der daraus wirkende Mechanismus.

Denn gerade der Schneeballeffekt, dass weitere Personen die Nachricht in binnen Sekunden retweeten, auf Facebook ihrem Freundeskreis mitteilen und sich darauf in ihrem eigenen Blogbeitrag referenzieren können ist der Vor- und Nachteil im Internet zugleich.

Genau so wie es ein guter Tweet wie der oben erwähnte von @zweifeln trotz nur 17 Retweets und eigenen 896 Followern in alle Regionalzeitungen mit HAZ-Mantel schaffen kann und so zigtausende Menschen erreicht, kann sich auch ein schlechter Hoax oder eine Falschmeldung verbreiten, nur wir sind halt ein wichtiger Bestandteil des Übertragungsweges geworden (In diesem Fall war es wohl auch der Retweet von Christopher Lauer).

Der persönliche Eindruck den man gewinnt, dass dieses Medium einen mit Informationen überfordert liegt einfach daran, dass wir uns an die Informationsflut gewöhnen sollten, die wir täglich bewältigen aber auch selber produzieren.

Wir sollten nur lernen unser Kommunikationsverhalten im Internet effektiv zu nutzen. Wenn wir lernen mit echter Kritik (siehe hier) umzugehen und diese von schlechter Recherche und nur den Wunsch nach der Aufmerksamkeit zur Monetarisierung und den Erhalt des bisherigen Journalismus zu filtern, stirbt allein wegen unserer Ignoranz die Effekthascherei aus und darüber sind sicher auch die aktuell agierenden Journalisten dankbar, wenn sie wieder mit mehr Geld versehen werden, um Qualität produzieren zu können.

Wir sollten als Piraten anstatt aufzugeben und uns dem bisherigen System anzupassen, weitermachen womit wir begonnen haben, lernen unsere neuen Möglichkeiten sinnvoll zu nutzen und gegen Abwehrhaltungen wie das Leistungsschutzrecht aktiv vorgehen durch unsere eigene Informationshoheit als Multiplikator einer Nachricht.

Oder frei nach Carl Sandburgs Zitat:

„Stell dir vor da steht Blödsinn und niemand klickt hin.“



Dieser Inhalt wurde ursprünglich von Torben Friedrich unter CC-Lizenz veröffentlicht.

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